Im August traf sich der neu gegründete JungVCS zur Retraite. Ein Gespräch mit drei Mitgliedern über persönliche Grenzen, zukunftsfähige Mobilität und erste Aktionen der neuen Bewegung.
Anina, Dominik und Camille, wie weit würdet ihr für ein politisches Anliegen gehen, das euch wichtig ist?
Anina Schweighauser: Ich würde mich nicht öffentlich exponieren, zum Beispiel indem ich eine verrückte Aktion mache,
die viel Aufmerksamkeit generiert. Ich ziehe den klassischen Weg vor, sei es das Sammeln von Unterschriften oder Sensibilisierung.
Du würdest du dich also an keinen Baum ketten lassen?
Anina: Nein …
Dominik Beeler: Ich muss beichten: Meine erste politische Aktion im Alter von 16 Jahren hat einen Polizeieinsatz ausgelöst. Wir haben damals einen Veloweg auf die Strasse gemalt. Das war eine Veränderung der Fahrspurmarkierung – und damit ein Delikt. Am nächsten Tag kam der Hochdruckreiniger und alles wurde weggeputzt. Aber inzwischen gibt es an dieser Stelle einen Veloweg! Heute bin ich ein bisschen zurückhaltender geworden.
Camille Lepetit: Ich bin massvoll in meinem Handeln. Ich würde mich gerne stärker einbringen, aber ich möchte die geltenden Regeln respektieren, auch wenn ich manchmal gerne ein wenig am Rande stehe. Ich würde zum Beispiel gerne an der Critical Mass teilnehmen, aber das sind Gruppierungen, die in mancher Hinsicht ausserhalb des Gesetzes liegen. Ich denke, je nach Botschaft, die vermittelt werden soll, je nach Gesetz, das dahintersteht, wäre ich bereit, gewisse Grenzen zu überschreiten.
Ihr engagiert euch alle für eine nachhaltige Verkehrspolitik. Gab es ein Schlüsselmoment, das euch dazu bewogen hat?
Camille: Eines der Momente, die mich am meisten inspiriert haben, war die Velofahrt von Neuenburg an den Klimastreik in Bern im Mai 2019. Die Autos konnten die Velos nicht mehr überholen und ich fand es toll, zu sehen, wie sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Verkehrsträgern umdrehte. Diese Art von Aktion macht einen Unterschied, sie zeigt ein zu erreichendes Ideal. Anina: Ich bin in den Bergen aufgewachsen, schlechte oder inexistente Verbindungen mit dem öffentlichen Verkehr waren Dauerthema. Als ich nach Bern gezogen bin, habe ich gemerkt, dass es Luxus ist, alle sechs bis zehn Minuten eine Busverbindung zu haben. Was nachhaltige Mobilität und Klimapolitik angeht, passiert viel, aber noch zu wenig. Es ist es auf jeden Fall wert, sich dafür zu engagieren.
Dominik: Mobilität war schon immer ein Thema für mich, ich bin ohne Auto aufgewachsen. Dass ich in die Verkehrspolitik eingestiegen bin, hat vor allem mit dem VCS zu tun: Die Sektion beider Basel suchte jemanden fürs Präsidium, ich war damals bei den Jungen Grünen aktiv und wurde angefragt. Seither bin ich dabei, und ich bereute es keine Sekunde.
«Sehr viele junge Menschen sind nachhaltig unterwegs – zu Fuss, per Velo, mit dem öffentlichen Verkehr.» – Anina Schweighauser
Anina, du hast drei Jahre lang beim VCS Schweiz gearbeitet, seit Kurzem bist du für eine private Beratungsfirma tätig. Welche Rolle spielt für dich der Verkehr in deinem momentanen Alltag?
Anina: Der VCS hat seine Spuren hinterlassen (lacht). Ich hoffe auch, dass ich im Rahmen meiner neuen Aufgabe hin und wieder etwas mit Mobilität zu tun haben werde. Ich habe erfreulicherweise gerade ein Mandat im Mobilitätsbereich erhalten. Hierbei habe ich die Möglichkeit, die nachhaltige Mobilität weiter zu fördern. Und ganz praktisch: Wenn es zeitlich und örtlich passt, gehe ich zu Fuss zu meinen Terminen.
Camille, du warst als Praktikant beim VCS Schweiz, was machst du im Moment beruflich?
Camille: Ich arbeite in einem privaten Büro für Mobilitätsentwicklung in Bulle (FR). Wir nehmen Mandate von Gemeinden, Kantonen, Agglomerationen und Privatpersonen an. Für mich ist es ideal, solche Aufgaben übernehmen zu können. Es war mein Ziel, in einem solchen Büro angestellt zu sein, und der VCS hat mich in diese Richtung gelenkt.
Ihr alle engagiert euch im JungVCS, der neu gegründeten Jugendorganisation des VCS, warum?
Anina: Während meiner Zeit beim VCS hatte ich das Gefühl, man müsse etwas für die Jungen machen und sie ins Boot holen, schliesslich geht es um ihre Zukunft. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als ich den Auftrag erhielt, den JungVCS zu gründen.
Camille: Für mich geht es beim JungVCS darum, junge Menschen für das Thema Mobilität zu begeistern und ihnen eine nachhaltigere Mobilität in ihrem Leben zu ermöglichen. Junge Menschen zu überzeugen und mit ihnen zu arbeiten, ist in meiner Vision des JungVCS wirklich das Wichtigste.
Dominik: In der VCS-Sektion beider Basel engagieren sich viele junge Leute. Seit ich im Vorstand bin, beschäftigt mich das Thema, wie wir für Jüngere attraktiv werden können. Es ist sehr wichtig, dass man junge Menschen einbezieht, denn ihre Perspektive ist enorm wichtig.
Anina: Sehr viele junge Menschen sind nachhaltig unterwegs – zu Fuss, per Velo, mit dem öffentlichen Verkehr. Ihnen wollen wir mit dem JungVCS ein politisches Sprachrohr geben. Zudem geht es auch ums Überleben des VCS. Es wäre sehr schade, wenn einige Sektionen nicht mehr aktiv wären, weil ihnen der Nachwuchs fehlt.
Camille: Es ist wichtig, den Dialog zu erleichtern. Manchmal ist es für die Menschen schwierig, mit den Verbänden in Kontakt zu treten, sich zu äussern und sich Gehör zu verschaffen.
Auf welche ersten Aktionen des JungVCS dürfen wir uns freuen?
Dominik: Wir haben uns an einer ersten Retraite Gedanken gemacht, wie wir uns organisieren, wie wir auftreten wollen und was unsere ersten Aktionen sein werden. Es gibt einige sehr spektakuläre Ideen! Wenn unsere erste Aktion stattfindet, wird man das sicher mitbekommen.
Welche Rolle seht ihr für euch im JungVCS?
Anina: Ich fahre die moderate Schiene. Ich setze mich auch gerne dafür ein, Dinge am Laufen zu halten, und ich koordiniere und organisiere gerne. Die Aktionen überlasse ich Dominik …
Dominik: Also so rebellisch sind sie nicht. Es ist wichtig, dass wir mit kreativen Aktionen auffallen und die Probleme junger Menschen ansprechen. Wir wollen einen niederschwelligen Zugang bieten, zum VCS, aber auch zu seinen Sektionen, damit man auch dort aktiv werden kann.
Camille: Ich bin nicht wirklich ein Selbstdarsteller oder Träumer. Ich kann helfen, indem ich Fragen stelle und zuhöre und eine kritischere Sichtweise einbringe, vor allem aus technischer Sicht.
Anina: Ich glaube, es ist sehr gut, haben wir in dieser Gründergruppe so viele verschiedene Köpfe: Sektionsleute, Aktivistinnen und Aktivisten und jene, die sich im Hintergrund halten. So können wir die verschiedenen Seiten auch beleuchten.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft des JungVCS?
Dominik: Der JungVCS soll eine Bewegung sein, in der sich junge Leute für eine nachhaltige und zukunftsfähige Mobilität einsetzen. Aber gleichzeitig finde ich auch wichtig, dass wir im VCS intern wirken und dort eine Stimme bekommen.
Anina: Ich sehe den JungVCS als Mischung zwischen Bewegung und strukturierter Organisation. Ich würde mir ausserdem wünschen, im Zentralvorstand eine Vertretung aus dem JungVCS zu haben.
Dominik: Es soll aber flache Hierarchien geben, alle sollen mitreden können. Camille: Ich sehe die Bewegung auch als offene Tür für Menschen, die sich frei äussern können, ohne sich unterdrückt zu fühlen.
Wie mobilisiert ihr euer eigenes Umfeld?
Camille: Ich versuche zu vermeiden, ein Moralapostel zu sein. Meine Mobilität ist nicht immer vorbildlich, aber ich versuche, mein Bestes zu geben. Ich verpflichte mich, mein Verhalten jeden Tag zu verbessern und zu zeigen, dass es möglich ist, z. B. mit dem Fahrrad einzukaufen oder mit dem Zug in die Ferien zu fahren.
Dominik: Ich glaube nicht, dass das zwingend moralisierend sein muss, wenn man sein Umfeld mobilisiert für Themen, die einem wichtig sind. Es kommt auf die Art an, wie man es tut. Ich glaube, man muss den Leuten klarmachen: Hey, wir haben ein Problem. Das Problem haben wir als Gesellschaft und müssen es als Gesellschaft lösen.
Camille: Individuelle Aktionen sind sehr wichtig, aber ich denke, das grosse Problem liegt beim System. Wir müssen uns auf das grosse Ganze konzentrieren und nicht mit dem Finger auf jeden Einzelnen zeigen.
Anina: Ich finde es schwierig, in Bergkantonen wie Graubünden zu mobilisieren, dort erfolgt die Mobilisierung über andere Schienen und ich hoffe da auch, dass der JungVCS und der VCS es schaffen, wieder präsenter zu sein. Dominik: Der JungVCS soll ein Netzwerk sein, das diesen Zugang bietet.